Freitag, 27. Juli 2007

vom schreiben

Vor dem Weblog habe ich hin und wieder für ein Online-Magazin geschrieben. Zu Beginn noch mit der Motivation, anderes zu sein als alle, die anders sein wollten. Etwas Sarkasmus und verschrobene Ansichten unter das Volk bringen, mich selbst nicht allzu ernst nehmen. Weil sie mich gelangweilt haben, die Journalistikstudenten, ihr alternatives, politisch ultrakorrektes Gehabe und der feste Glaube, nach dreimonatigen Praktikum bei einer Regionalzeitung, Anzeigenabteilung womöglich, nunmehr professionelle Qualitätsberichterstattung zu betreiben. Einige sehr fähige Menschen waren darunter, doch alles in allem fand ich das Gesamtprodukt mehr linkisch denn das beabsichtigte links (Obwohl ein jeder zweite sich im Autorenprofil damit rühmte, Marx gelesen zu haben. Cirka ab dem zehnten Lebensjahr wird es übrigens peinlich, solche Dinge gesondert zu erwähnen).

Doch siehe da, kaum den ersten Text online, fand ich mich ganz wunderbar, vortrefflich, um nicht zu sagen schlichtweg genial. Es gelang mir sogar Stammleser zu gewinnen, mindestens fünf. Der „Ach was bin ich nicht für ein brilliantes Kerlchen“- Adrenalinkick hielt zwar selten länger an als ein paar Minuten, aber er stieg mir gehörig zu Kopf und so tappte ich in die gleiche Falle, in der ich die Mitschreiber schon längst alle vermutete (Nämlich sich an seinen eigenen Worten aufzugeilen). Oh, welch belebendes Tonikum war der Applaus für mein unsicheres Selbst, jeder Kritiker natürlich ein vollkommener Idiot, eine Banause sondergleichen. Schreiben konnte außer mir ohnehin keiner.

Glatt wär ich zur selbstherrlichen Diva verkommen. Dabei mochte ich, abseits des Beifalls, mein eigenes Werk nicht besonders, noch weniger allerdings die arrogante Kreatur, die ich mir geschaffen hatte.

Sollen sich doch andere weiter der Illusion hingeben, sie würden Großartiges für den Literatur- und Journaillenbetrieb leisten, weder bin ich eine Autorin oder Redakteurin, noch bin ich mir sicher, ob ich jemals eine werden wollen würde, geschweige denn werden könnte.

Wenn ich es denn erwähne, dass ich nicht nur Einkaufszettel schreibe, dann nur, um mein Leben interessanter darzustellen als es ist, wobei zu befürchten bleibt, dass ich nicht die Einzige bin, die eine solche Offenbarung im Stoßgebet verharren lässt: „Oh Gott, nicht schon wieder eine von der Sorte.“

Am fürchterlichsten sind die selbsternannten Dichter. Sprüchlein kredenzen die, dass einem ganz schwummrig wird ums empfindliche Ohr. Holprige Verse, unmelodisch, ohne Rhythmusgefühl verfasst und vorgetragen, dafür mit reichlich Schmalz samt altbewährtem Floskelpathos.

Weshalb Leute, die „Ich liebe dich, du liebst mich nicht“ - Gedichte schreiben, für ein Germanistikstudium zugelassen werden, bleibt mir ein Rätsel, warum sie ausgerechnet mir ihre schauerlichen Sprachverbrechen präsentieren, ebenso. Natürlich schmeichelt es dem dösenden Dämon, wenn man mich zu Höherem berufen meint. (Wieviele Literaturkritikerinnen wohl mit meiner Unfähigkeit gesegnet sind, Satzzeichen da anzubringen, wo sie hingehören, die mit der Rechschreibung, der alten, der neuen und der dazwischen so manches Wortgefecht austragen?) Zumindest ein verbindendes Element sehe ich, das mich vielleicht zu Urteilen befähigt, so horte ich nämlich Notizservietten mit eigenen Abscheulichkeiten, doch werden sie unter Verschluss gehalten, an die Öffentlichkeit dringt nur, was das betriebsblinde Kritikerinnenauge für halbwegs passabel hält. Von Schreiber zu Schreiber scheint es allerdings eine recht unterschiedliche Wahrnehmung und Selbstbewertung zu geben.

Man fragt mich also des Öfteren um meine Meinung. „Wie man mit einem derartig banalen, beschränkten Ausdrucksvermögen überhaupt in der Lage ist, Hochschulreife zu erlangen? Der Beipackzettel jedes Anti-Fußgeruchsprays birgt mehr Poesie, mehr Vielfalt und Spannung als deine gesammelten Texte. Der Schrieb taugt maximal als abschreckendes Beispiel.“ möchte ich antworten, stattdessen, eingedenk der unleugbaren Tatsache, dass ich es selbst nicht ertragen würde, wenn man mir eine solche Talentlosigkeit attestierte, entfleucht mir: “Wow, ich könnte einen solchen Text nicht schreiben! Ich find halt nur, dass die Thematik schon zu oft in einer ähnlichen Art und Weise behandelt wurde. Vielleicht lässt du noch zuwenig persönliche Note einfließen, dir fehlt ein bisschen der eigene, unverkennbare Stil.“ Ja, ich bin ein feiges diplomatisch veranlagtes Wesen.

Neulich sah sich ein solch farbloser Wortverdreher bemüßigt, mich an seinen Verlag zu vermitteln. Das fand ich überaus rührend, doch sollte ich jemals das Bedürfnis verspüren, mich einer Buchdruckerei aufzudrängen, dann mit Sicherheit nicht einer solchen, die kommentarlos aber kostenpflichtig jeden Schrott vervielfältigt, der sich auch nur im Entferntesten als Sprüchebüchlein eignen könnte - für Menschen, bei denen zuhause gerahmte Romantikposter im Wohnzimmer hängen, mit Bildern von Einhörnern und regenbogenfarbenen Wasserfällen, über der Sitzgarnitur, gleich neben dem Setzkasten mit der Überraschungseisammlung, den venezianischen Maskenminiaturen und den traurigen Clowns aus Porzellan.

jegliche sorge, durch zustimmung und lob könnte ich alsgleich wieder dem größenwahn anheimfallen, ist unbegründet. hauptsache sie finden mich weiterhin toll!

Donnerstag, 26. Juli 2007

beim stadtspaziergang

unvermutet auf eine jugendliebe getroffen. sehr zu meinen vorteil völlig unterm wert verscherbelt (1€): roald dahl - matilda.

me & the gaybar: i wish i was queer so i could get chicks

Was eine Hetero-Frau dazu veranlasst, ausgerechnet in einer Schwulenkneipe zu arbeiten? In einer recht dubiosen Halbwelt zu verweilen, die mit dem wirklichen Leben auf den ersten Blick nichts gemein hat. Manchen erscheint es als Abstieg, andere beeindruckt der vermeintliche Glamourfaktor, „Erzähl der Großmutter, Tante, usw. ja nichts davon“ fordern meine Eltern, meine letzte Beziehung ging, neben einigen anderen Faktoren, an meiner Berufswahl zugrunde, dennoch sehe ich meine Arbeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt als persönliche Bereicherung, zumindest was den Charakter angeht, die Bank würde sich mich in anderer Tätigkeit wünschen.

Der Zufall oder mein Naturell wollten es, dass ich schon früh mit Menschen zu tun hatte, die ihre Partner nicht nach fortpflanzungförderlichen Kriterien wählen. Zur Sorte Frau, die ihrem besten schwulen Freund in unglücklicher Anbetung zugetan ist und hofft ihn umpolen zu können, zähle ich mich nicht, obwohl auch ich einen Lieblingskumpanen habe, dessen Partnerschaftspräferenzen gleichgeschlechtlicher sind, als er sich`s eingesteht.

Der homosexuelle Wegbegleiter hat Vorzüge, die ich durchaus zu schätzen weiß. Die in den meisten Lebenslagen störende Mann-Frau-Anziehung wird ausser Kraft gesetzt. Man kann Tisch und Bett miteinander teilen, wie man es seit Kindertagen mit keinem männlichen Wesen mehr so absichtsfrei erlebt hat, weil einem ansonsten doch ständig dies brünstige Balzverhalten im Wege steht. Nur zu straighten Frauen und homosexuellen Männern kann ich Naheverhältnisse pflegen, ohne dass mir die Begierde die Gedanken verseucht oder eben dies umgekehrt erhofft/befürchtet wird, Berührungen bleiben Berührungen um der Person willen und nicht weil mich die Biologie in ihren unheilschwangeren Fängen hält. Besitzansprüche und Eifersüchteleien halten sich in Grenzen, der große Rausch, die Tragödien bleiben aus. Kein „folie a deux“ wenn die Fortpflanzungsorgane verpackt bleiben. Frauen und Schwule sind mein Rückzuggebiet in einer Welt omnipräsenter sexueller Spannungen, mein Urlaub vom Jagdbetrieb, Schonzeit. Selbst die asexuelle, aber nunmehr aufrichtigere Freundschaft, die mich mit Ex-Gefährten verbindet, mit denen ich die Kreisläufe des Werbens, Verliebens, Übereinanderherfallens und sich hernach wieder Entliebens allesamt durchlaufen habe, steht niemals auf so sicheren Beinen, wie die Zuneigung einem Menschen gegenüber, dessen Paarungsverhalten ein Miteinander in dieser Hinsicht komplett ausschließt.

Die Schwulenbar ist nun der erste Arbeitsplatz, an dem ich die langersehnte, entsexualisierte Arbeitsumgebung für mich endlich verwirklicht sehe. Es mag paradox erscheinen, zumal ich ich tagtäglich mit einem Jargon zu tun habe, der anderen die Schamesröte ins Gesicht treibt. Mir bereitet es keinerlei Schwierigkeiten die gängigsten schwulen Praktiken zu benennen und ich kann über derbe, schlüpfrige Scherze, die bestimmt nicht der üblichen Auffassung von weiblichem Humor entsprechen, herzlich lachen. Meine Argumentation mag auch insofern unstimmig klingen, als ich doch Dinge erlebe, wie etwa als einzige Frau, abgesehen von der Tunte im Fummel, die sich nervös, weil völlig deplatziert zwischen all den Kerlen im Muskelshirt, an mich hielt, bei einer live Pornoshow anwesend zu sein.
Wäre es eine heterosexuelle Darbietung gewesen, ich wäre schockiert geflüchtet. Dabei habe ich keine Probleme mit dem Sekretaustausch zwischen erwachsenen Personen, wer was mit wem macht interessiert mich, außer bei eigener Beteiligung, allerdings überhaupt nicht. In den vergangenen Monaten habe ich gelernt, so manches diskret zu übersehen. Wobei natürlich in jedem Nachtlokal, unter dem enthemmenden Einfluss von Alkohol, das triebgesteuerte Tier hervorgekehrt wird - es handelt sich keinesfalls um ein Spezifikum eines durchwegs homosexuell besuchten Etablissements, dass zwei sich finden und aufs Klo verschwinden. Mein Verständnis von Perversion besagt, dass alles was aus beid- oder mehrseitigem freien Willen geschieht und ohne Zwang, wohl irgendwie seine Berechtigung hat und vermutlich normal ist. Im Grunde ist der körperliche Austausch großteils eine recht geschäftliche Angelegenheit, egal ob dafür bezahlt wird oder nicht, nur beim Frauenkörperausverkauf bin ich enorm misstrauisch. Von Ausnahmen abgesehen, fehlt mir dort nämlich der Aspekt der, nunja, Freiwilligkeit. (Zu Zeiten ganz besonders dringlicher Geldbeschaffungsversuche, war ich kurzfristig geneigt, für einen Escortservice zu telefonieren. Nun, ich weiß um den kostenpflichtigen Klang meiner Stimme. Mein Part wäre gewesen, mich am Telefon als die gebuchte Dame auszugeben um Männer hinzuhalten, bis Hotelzimmer und Dame frei waren. Das Salär, nach meinen bescheidenen Maßstäben, extraordinär, doch mein Gewissen sagte mir, es sei nicht rechtens die Prostitution der Frau zu fördern und ich möchte mit solchen Kreisen auch nichts zu tun haben.)

Doch halt, darauf wollte ich gar nicht hinaus! Vielmehr ging es mir darum: In der Schwulenbar bin ich unsichtbar. Ich stehe außerhalb des Systems. Man nimmt mich nur wahr, als das was ich bin – die Kellnerin – nicht potentielles Begattungsobjekt. Weil mich die Männer nicht haben wollen und die paar anwesenden lesbischen Frauen mich, wenn, dann ausschließlich menschlich interessieren, finde ich mich plötzlich in einer Beobachterrolle wieder, die mir völlig neue Perspektiven gewährt. Nie zuvor war es mir möglich, menschliches Verhalten so objektiv zu beurteilen. Vor meiner Theke läuft ein Lehrfilm über das Sozialverhalten der Menschheit ab.

Anfangs war es schwer zu begreifen, nicht Gegenstand des Interesses zu sein. Zwar bin ich sicherlich keine Frau, die den Massengeschmack trifft, die übermäßig mit weiblichen Reizen kokettiert, trotzdem war ich es gewohnt, zumindest seit ich das Geschlechterspiel in Ansätzen selbst beherrsche, ein paar eindeutige Reaktionen zu ernten. Mein Klientel hingegen schätzt mich als Servierkraft, manch einer vielleicht sogar als neutrale Gesprächspartnerin für barunübliche Themen, doch ansonsten bin ich Luft.

Einmal nicht mitmachen zu müssen oder bedacht zu werden im ewigen Auf und Ab der Sehnsüchte ist ungemein erholsam, die Betrachtungen, die sich mir bieten sind ernüchternd. Ausgerechnet an einem Ort wo meine eigenen Vorlieben garantiert unbeachtet bleiben, fällt mir zum ersten Mal auf, wie extrem man aufs bevorzugte Geschlecht fixiert ist, wie sehr sich das vermeintlich selbstbestimmte Tun und Handeln doch am umworbenen Gegenüber orientiert. Was sind wir nicht alle für Poser, Selbstdarsteller und Leibeigene unserer Triebe?! Manchmal wünsch ich mir, die Evolution wär bei der Zellteilung stehengeblieben.

Dienstag, 24. Juli 2007

vom leben und sterben auf dem lande - II

Als erstes Tier hielt eine Katze Einzug im Hedwig-Häusl. Die Frau Sigl, Jahrgang 1908, hatte sie noch gekannt, die alte Hedwig, die Frau, die zuallererst das Grundstück bewohnte, als es unser Haus noch nicht gab, sondern nur eine Hütte.
Die Gehöfte trugen alle Namen, Nummern dienten vielleicht der Post als Orientierung, doch der Hofname gab Auskunft über die Besitzverhältnisse und spiegelte ganze Familiengeschichten wider.
(Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang wohl auch, dass ich als uneheliches Kind - eine Schande, auch noch in den Achtzigern, die dem strengkatholischen Umfeld dadurch verborgen blieb, weil mein Stiefvater den Namen meiner Mutter annahm - als Einzige verwandtschaftlich in der Gegend wurzle, stellte sich doch heraus, dass meine Urgroßmutter väterlicherseits nur wenige Kilometer von meiner neuen Heimat entfernt, sich als Magd verdingt hatte und meine Großmutter ein Spross dieser Scholle und außereheliche Tochter des Knechts war. Eine Schmach, über die sie übrigens nie hinweg kam.)

Jedenfalls, die Mona Lisa war der erste Schritt zur Vielviecherei. Andere Hofkatzen genossen beiweitem nicht die Privilegien, die ihr zuteil wurden. Die typische Bauerskatze war mager und ausgezehrt, das Fell struppig und ohne Glanz, die Augen entzündet, die Ohren von zahlreichen Revierkämpfen zerfleddert. Halbwilde Tiere waren das, scheu und agressiv oder schlichtweg dumm.
(Man sagt den Menschen vom Land, vorallem denen aus Gebirgsdörfern, ja einen überdurchschnittlich hohen, soziogeografisch bedingten, Verschwägerundverbrüderungsgrad nach, wenn schon, dann gilt das sicherlich auch für Tiere. So politisch unkorrekt es auch sein mag, ich bin der Überzeugung, ein Gutteil der Hofkatzen im Tal war inzestuös und geistig behindert.) Unsere hingegen war eine strahlende Diva. Als Mäusefängerin war sie hoch begnadet, ihre Nachkommen, sofern nicht zu nah verwandt, genießen heute noch den Ruf, besonders mordlustig zu sein, dennoch wurde sie aus der Dose zugefüttert. Ein absolutes Novum in einer Welt, in der Katzen nichts zählten und ihre Reproduktionsrate der von Mäusen glich. Wann immer es zuviele Kätzchen gab, im Frühjahr und im Herbst, dann rief man die Frau Sigl. Die war eine Engelmacherin für Felidae. Nicht ertränkt oder erschlagen hat sie die Kleinen, sondern ihnen am Hackstock den Kopf abgehackt. Ein grausiges Schauspiel, an dem sie keinesfalls jemanden teilhaben lies, einzig ein paar samtige Härchen klebten hinterher noch am Holz.

Dennoch war mir die Frau Sigl die Liebste von allen Nachbarinnen. Nicht zuletzt natürlich auch, weil ich bei ihr den ganzen Tag fernsehen durfte, ihr Gerät empfing neben ORF1 sogar ORF2. Auf diese Weise kam ich in den Genuss von zahlreichen Heimatfilmen. Von Hans Moser bis Peter Alexander, der Geier Wally und dem Mariandl hab ich sie alle gesehen und ergänzend auch zahlreiche Folgen des Seniorenclubs. Dazu aßen wir Kekse, die selbst frisch aus der Packung alt schmeckten und tranken Caro-Malzkaffee oder den von Linde, pure Instant-Kindheit ist das heute für mich, der Geruch versetzt mich augenblicklich zurück in eine Zeit als ich wohl sieben oder acht war.

So alt muss ich etwa gewesen sein, als die ersten größeren Tiere hinzukamen.

Die paar Joch Grund, die meine Eltern besaßen, zwei sumpfige Streifen Wiese, den großen Gemüsegarten, ein wenig Wald, in dem im Frühling Maiglöckchen, im Sommer Walderdbeeren, im Herbst dann tellergroße Parasole wuchsen, dazu noch einen sonnenbeschienenen Abhang, auf dem wilde Kräuter wucherten, sich Blindschleichen und Kreuzottern tummelten und Rehe ästen, nachdem sie alle jungen Knospen von den Bäumen gefressen hatten, bedurften der Pflege. Wiesen müssen gemäht werden. Zwar hatte mein Vater gelernt, die Sense zu schwingen und zu dengeln, doch blieb stets die Frage: wohin mit dem Heu? Erst hatte er ein Abkommen geschlossen, mit einem der Nachbarn – unser Heu für die Entsorgung der Senkgrube, ein Kanalisationsnetz in dem Sinne gab es nicht, jeder entsorgte den Inhalt der Odel- (ein Wort, dessen Aussprache eine bedenkliche klangliche Ähnlichkeit zum Wort Adel hat, ich vermute, ohne etymologische Prüfung, ganz frei assoziert, eine gewisse Absicht dahinter) oder Jauchegrube direkt auf Feld und Wiese oder in den nächsten Bach. Manche Höfe und Häuser, so auch unseres, verfügten allerdings über ein sumpfpflanzenüberwuchertes Rinnsal, eine Art biologische Kläranlage, die Abwässer filterte. Das Grundstück jedoch war mit Maschinen schwer zu bewirtschaften und der Aufwand stand nicht für den kargen Ertrag.

Viele unserer Bekannten, Nebenerwerbskünstler und Neobauern, hatten sich Milchschafe oder Ziegen zugelegt. Beides kam für meine Eltern nicht in Frage. Zu aufwendig war deren Haltung, besonders Ziegen haben das Talent zur Nervensäge. Ausserdem, was hätten wir mit Milch und Fleisch angefangen? Wir Kinder weigerten uns unpasteurisierte Milch zu trinken, ein Tick der mir bis heute geblieben ist. Ein Tier, das wir beim Namen kannten, hätten wir wissentlich niemals verspeist. So also fiel die Entscheidung auf Kamerunschafe als Landschaftsgärtner mit Option auf Tod durch Altersschwäche. Eine kleinwüchsige, afrikanische Schafrasse, optisch ein Hybrid aus Zwergziege und Mufflon, mit kurzem Deckhaar und recht anspruchslos in der Haltung. Ramses und Rocko hießen die beiden Böcke, die von nun an, durch einen Maschendrahtzaun getrennt, neben den frechen Rehgeißen grasten. Ein seltenes Bild, denn Weidehaltung war ein romantisches, aber damals de facto kaum mehr praktiziertes bäuerliches Ideal. Alles was größer war als eine Katze, wurde normalerweise weggesperrt und kam an die Kette. Vom Haushund bis zur Kuh.

Hühner und Kinder bildeten die Ausnahme. Zwar ging das Gerücht, ein Nachbarspaar, allein schon aufgrund der Tatsache suspekt, dass eine Katholikin einen Zeugen Jehovas geheiratet hatte, hätte seinen Nachwuchs vor zwanzig Jahren noch in ein großes Eichenfass gesperrt, wenn die Feldarbeit anstand und den legendären Mohnzutz, die beruhigende Mohnkapsel als Schnullerersatz, den kannten wohl einige noch aus eigener Erfahrung, dennoch war das Landvolk tendenziell kinderfreundlich (das Verhältnis zu Hühnern war mehr geschäftlich).

Die Produktion des Nachwuchses allerdings war mit einem Tabu belegt. Ausgerechnet die Menschen, die tagtäglich mit den Kreisläufen der Natur, mit Geburt und Tod zu tun hatten, scheuten dies Thema wie der Teufel das Weihwasser. Mein jüngster Bruder war die erste Hausgeburt, die diese Region seit Jahren erlebt hatte. Zwar standen schwangere Bäuerinnen auf dem Feld oder saßen am Traktor bis ihnen die Fruchtblase platzte, doch geboren wurde in der Stadt. Für viele Frauen war das die einzige Gelegenheit einmal über die Grundstücksgrenze hinauszukommen. Den Kindern daheim wurde erzählt, die Mama sei mal eben einkaufen oder schwer krank. Was glauben sie, wie die Nachbarskinder dreinschauten als ich, die ich mit alternativen Schwangerschaftsratgebern lesen lernte, die Aufklärungsarbeit übernahm.

wird fortgesetzt

privataudienz

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der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

kundmachung

dieser weblog basiert im wesentlichen auf texten, fotos sowie illustrationen von MoniqueChantalHuber und alter egos. moralisch inakzeptable wortmeldungen, sofern sie nicht der feder ihrer majestät entspringen, werden mitsamt verfasser an den pranger gestellt, gevierteilt oder am scheiterhaufen verbrannt. die zensurgewalt von MCH bezieht sich jedoch bedauerlicherweise nur auf ungehörige kommentare innerhalb ihres hoheitsgebietes. und legasthenie ist lediglich ein schönheitsfehler.

korrespondenz

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Zuletzt aktualisiert: 24. Jul, 02:02

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