Wo anderntags noch triste Erinnerungen gewälzt wurden, sei der werte Leser heute angeregt, sich auf sinnlose und spaßige Art die Zeit zu vertreiben, so wie es mir mein geschätzter Mobiltelefonreimpartner, Herr m.m. nahelegte.
„the neighbour says...“ nennt sich die Disziplin, welche eingangs einiger Erläuterungen bedarf:
Ziel und Zweck der arbeitszeitüberbrückenden Übung ist es, sich als jeweiliger Erdenker gereimter Zeilen in die Lage eines leidgeprüften Nachbarn zu versetzen, um aus dessen Sicht ein Leben im Umfeld des Verfassers zu schildern. Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass Kraftausdrücke unabkömmlicher, gar essentieller, Bestandteil des Erzählten sind - Wer nun blumige Lyrik und romantische Verse bevorzugt, dem sei sowohl von der Lektüre der Beispieltexte, als auch einer Nachahmung tunlichst abgeraten!
(Wer seine sprachliche Prägung nicht im Kerngebiet der Donaumonarchie oder unter bajuwarischen Stämmen erfuhr, der mag mitunter Verständnisschwierigkeiten haben. Doch zugunsten des Reimes wurde mancherorts auf eine vollständige Transkription ins Preussische verzichtet.)
The neighbour says:
Es kracht und grummelt im Gebälk,
mir werden alle Blumen welk,
mein Gartenzwerg mit roter Mütze
kotzt seit Tagen grüne Grütze,
drei Bäume hat`s mir umgeschmissen
und die Fliegengitter z`rissen.
Anstatt Bienen, Wespen, Hummeln
hör ich wilde Bässe brummeln.
Ein Lärmgewitter wie im Krieg,
wie wenn ich zwischen Fronten lieg.
Dieser Nachbar – eine Plage!
Der muss weg hier, keine Frage!
Drum werde ich jetzt bei ihm läuten,
ihn mit dem Kürschnerfeitl häuten
und bastel daraus auf die Schnelle
für meine Ohren Trommelfelle.
Denn auch diese sind zerstört,
drum hör ich nichts mehr... unerhört!
The neigbhbour says:
Die Gegend hier war pittoresk,
ein zauberhafter Ort.
Nun aber ist es schlicht grotesk,
ich will hier nur mehr fort.
Einem Höllenschlund im Boden
entstieg grad ein Dämon,
mit HI-FI Boxen anstatt Hoden,
am Schweif ein Mikrofon!
Aus seinem Arsch, da dröhnt der Bass,
mit tausend Dezibel,
wenn der mal furzt, ist das kein Spaß
da stirbt man ziemlich schnell.
Beim Herrn M. Im Nebenhaus,
da wohnt jetzt dieses Biest.
Ich setz noch heut ein Kopfgeld aus
damit es wer erschießt.
Der Nachbar sprach zu seiner Gattin:
„Die junge Frau von Nummer acht,
bei der rumort es Tag und Nacht,
da kommen Männer in einer Tour,
mir scheint das Weib is eine Hur.
Die Wohnung ist ein Schandfleck,
Sündenpfuhl der Lüste,
das Weibsbild haust bestimmt im Dreck
(wenn des mei Alte wüsste:
einmal hab ich`s nackert gsegn,
da drüben von meim Balkon,
is ohne Gwand am Sofa glegn,
die macht das g´wiss zum Hohn!)
Das Weibsstück, des kennt kan Genierer-
die Drecksau steht bestimmt auf Vierer.
Horch! Der Lärm aus diese Zimmer
wird unerträglich, ständig schlimmer.
Wir sind ein Haus mit Anstand,
mit Sitten und Moral!
Die macht`s bestimmt im Handstand
und sicher auch oral.
Jössas na, das darf nicht sein!
Die halt ich auf, ich geh da rein!
Weil, schau, die Tür ist unversperrt.
Na, dera zeig ich, was sich ghead!
... da liegt a Brot und Dosenbier.
Das is ka Frau, des is ein Tier!
Was macht die Trutschn mit der Flex?
Nimmt`s die als Utensil beim Sex?
Halt, da kommt grad wer um`s Eck.
Sei still und rühr dich ned vom Fleck.
Na, schau, des is der Maurer Sepp.
Was macht der da, der alte Depp?
Pfui, grauslig was die Frau ois bumst!
Wo willst denn hin? Da gemma! Kummst?!
Was sagst? Red halt nicht so leise...
Das meinst nicht ernst?! Nein, wirklich? Scheiße!
Du sagst, die ist nicht ungeniert?
Da is`s nur laut, weil`s renoviert?
Abnehmwahn
allerorts.
Auch bei mir hatte der Verzehr von gaumenschmeichelndem, seelenstreichelndem Konfekt in letzter Zeit maßgeblichen Einfluss auf die Erweiterung meiner Konfektionsgröße. Früher, da hätt´s das nicht gegeben, dass ich mich mit meinen nunmehr fast sechzig Kilo Lebendgewicht auf die Straße traue. Niemals hätte ich es ertragen, dass ein Mann meiner Wahl meinen Bauch küsst. Was einstmals einer Demütigung gleichkam, kann ich nun endlich als Kompliment auffassen: „Ich mag es, dass man sieht, dass du genießen kannst“.
Mir haben Frauen light nie gefallen. Solche die sich kasteien, Salatblätter wiederkäuen, in Kindergrößen verloren gehen und alle Zeichen reifender Haut verbergen, weil sie nicht wollen, dass ihre Gesichter Geschichten erzählen. Ich mag Menschen, denen man anmerkt, dass sie ein Leben führen. (Photoshop halte ich übrigens für ein größeres Übel, als Junk Food und alle Weltreligionen zusammen).
Doch ausgerechnet ich wollte verschwindend gering sein. Weil niemand meinen Hunger nach Nähe stillte und ich mich doch auch nicht sattsehen konnte, an allen anderen. Beinahe zehn Jahre war ich Pendlerin – zwischen Kühlschrank und Klo, getrieben von der irrigen Annahme, man würde nur das lieben, wovon man wenig hat.
Die Bulimie, mein Fels in der Brandung, etwas das nur mir gehörte. Sie war ich und ich war sie. Wer immer mir Vorhaltungen machte, bedrohte sie, mich, uns. Wer sie mir nicht gönnte, der wollte auch mich nicht.
Ich kann wieder in Gesellschaft essen, ohne dass mir Messer und Gabel aus den zittrigen Händen fallen. Ich kann wieder für mich oder andere kochen, ohne hinterher den gesamten Vorratsschrank leerzufressen. Ich kann wieder schmecken und riechen, was ich esse.
Ich kann wieder unter Menschen sein, ohne mich zu hassen. Ich kann wieder alleine sein, ohne zu verzweifeln. Ich kann wieder spüren, ohne mir wehzutun.
Das alles ist mir mittlerweile mehr wert, als die paar Zusatzkilo an meinen Hüften wieder loszuwerden.
(die folgenden, hochgradig depressiven, Zeilen eines schwerkranken Teenagers, der sich nur über Gewicht definiert, decken sich zum Glück nicht mehr mit der Grundstimmungslage der Autorin und dienen einzig der Veranschaulichung eines Verfalls.)
10.Oktober 199...
Es gilt ein Jubiläum zu „feiern“. Vor genau einem Jahr beschloss ich abzunehmen. Man sieht was daraus geworden ist – ein krankes Nervenbündel. (Soo schlimm ist es ja wohl nicht – naja, doch – ich weiß nicht.)
Hab mir zu diesem Anlass vorgenommen noch etwas abzunehmen. 10 Kilo. Dann kann mich nie mehr der Gedanke quälen ich sei zu fett! 45 Kilo – diesmal schaffe ich es! Ich schaffe es! Magersucht ist mir lieber als kotzen.
R. wird am 14. dreiundzwanzig. Er ist umgezogen, ich werd ihn nie wieder sehen.
E. ... ich weiß nicht... keine Chance.
Bin ich zu hässlich, fett, blöd? Oder was sonst?
Zu fett werde/will ich nie wieder sein, zu häßlich – das ist Ansichtssache, zu dumm – in mancher Hinsicht zu naiv, aber sonst?
Nie wieder will ich kotzen! Hungern ist doch tausendmal angenehmer und nicht so umständlich. Nie wieder will ich darüber nachdenken müssen, ob nicht irgendwo Speckfalten hervorquellen. Nur ich allein muss es tun und kann es schaffen. 45 Kilo!!
20.Oktober ...
Allgemeines ich weiß nicht was. Die Zeit geht vorüber und ich habe keine Ahnung was ich eigentlich mache. Essen, fressen, nicht an eine Diät denken, manchmal erbrechen, gleich darauf wieder viel essen oder gar nicht, kotzen oder schon, lesen, herumsitzen, die herannahende Schularbeit verdrängen, Au-Pair-Pläne schmieden. Ich träume vor mich hin. Mein ganzes Leben ist nur ein traumartiger Trancezustand. Wer bin ich? Was bin ich? Will ich das eigentlich wissen? Möchte gegen Hunger, Rassismus, Umweltverschmutzung kämpfen, die Welt wachrütteln. Alles sofort ändern. Mich und die anderen. Möchte berühmt und beliebt sein. Bücher schreiben. Aber eigentlich will ich gar nichts. Mich töten? - Nein. Wieder versuchen mir die Pulsadern aufschneiden? Zuviel Angst davor.
Am besten langsam im eigenen Stumpfsinn ersticken, bis nichts mehr von meiner Hochmut, Arroganz, meinen kindischen Träumereien übrig ist. Möchte nichts sein, bin nichts. Doch... nein... keine Ahnung... ist mir egal. Lebe ich? Ist alles nur ein Traum? Ich muss mit dem Träumen aufhören. Ist das der Anfang vom Ende? Ich existiere nicht. Für mich selbst bin ich nicht da. Für die anderen? - falls es sie gibt... Mich kann es nicht geben. Ich spüre mich nicht. Habe ich das jemals? Kann ich nicht sagen. Bin ich depressiv? Nein, dazu müsste ich mir selbst bewusst sein. Man kann nur in Selbstmitleid verfallen, wenn man an sich selbst glaubt. Warum kann ich mich sehen, wenn ich mich nicht fühlen kann? In keiner Form – körperlich – geistig – es kümmert mich nicht, oder doch, oder nicht. Wer weiß das schon? Hab heute einen echten „toten“ Schädel angefasst. Konnte mir nie vorstellen, dass die Berührung eines echten, toten, einstmals lebendigen Schädels in dem einmal ein lebendes, echtes Gehirn war, der einfach so auf dem Tisch lag um ihn zu zeichnen, so ein Gefühl hervorruft. Es war entwürdigend. Bin ich tot – innerlich? Bin ich genauso dem allgemeinen Spott, Interesse, einer Nichtachtung menschlicher Würde ausgesetzt wie dieser Schädel? Ich habe ihn entehrt. War mir seines früheren Seins bewusst und habe mich meinem Instinkt widersetzt den Toten, die Tote in einer gewissen Art zu ehren – über das was, wie, warum – das Leben, den Tod nachzudenken. Ich habe ein schlechtes Gewissen einem Knochenhaufen gegenüber. Bin ich übergeschnappt oder als einzige empfindsam? Ich glaube nicht an Gott oder ähnliches und trotzdem. Hab nur ich das gespürt – ich die nicht weiß was sie ist, warum sie verdammt nochmal ist, warum gezeugt, warum geboren? Warum? Warum?
Menschen – Männer – was ist das. Hab ich schon mal geliebt – kann ich denn fühlen – warum nicht mehr? Was geschieht mit mir? Meine Hand schreibt Dinge, die aus dem Nichts kommen. Ich sehe, höre, rieche, schmecke, fühle, denke – nichts? Musik – Schweißgeruch – Rauchgeschmack – kühle Luft und mitten drin – in mir NICHTS. Nicht mal Leere – unendliches NICHTS.
13.Dezember ...
ICH WILL NIE WIEDER ESSEN!!!!!
Mich zu Tode hungern.
Ich ertrag es nicht länger. Ewig fressen, manchmal kotzen, oft nicht.
Ständig fetter werden. Fett überall. Ich kann mich nicht mehr im Spiegel ansehen, mich nicht mehr auf die Waage stellen ohne beinah in hysterisches Geschrei auszubrechen. So fett, so häßlich – warum ich?- warum bin ich dick und häßlich? Warum ich?
Unglücklich - unbeliebt - ungeliebt. Mindestens 20 Kilo Übergewicht. Ich wünsch mir den Tod!
Weg von meiner Sucht. Essen ist Sucht. Sucht gehört bekämpft. Ich gehöre bekämpft.
Was bedeutet ICH? Eine Ansammlung von Fettzellen, die sich einreden sich ihrer selbst bewusst zu sein. Fett, Fett, Fett, Fett, Fett, Fett, Fett, Fett – überall. Speck, Öl, Tran, die Welt – meine Welt – nur Fett. Ich will nicht mehr. Meine Ziele, Träume, Wünsche, Hoffnungen schmelzen dahin – nein, ersticken, erstarren in Fett. Hunger – warum kann ich nicht lernen ihn zu lieben? Den einzigen Freund. Einzig, allein Hunger der Ausweg. Fett – ich kann es nicht mehr hören, riechen, schmecken, mit mir herumtragen. Ich bin süchtig. Eine Sucht die mir den Tod bringt – den geistigen. Wenn schon Tod, dann nur einen ehrenhaften.
Ein verbrannter, schwelender Fleischberg.
Die Walfänger lauern überall. Wer fängt schon dünne Wale?
Knochen, Sehnen, Haut – was brauch ich mehr? Kälte, Hunger als Gefährten – meine Begleiter, nicht die Last, die ich mit mir herumschleppe.
Ich bin so schwach. Zu schwach um mir selbst gegenüberzutreten. Die Sucht mich vollzustopfen. Ich bin ekelerregend. Mir graut`s vor mir.
Je weniger man von etwas hat umso mehr lernt man es zu schätzen. Ich möchte mich selbst wieder schätzen können, ohne mir etwas vormachen zu müssen.
Wer sieht das Häufchen Elend inmitten Tonnen von Fetts? - mein Selbstschutz – mein Selbstmord.
Fett, Fett, Fett, Fett, Fett, Fett, Fet
Schmalzlocken, Speckreifen, Speckstreifen.
Magersucht komm und hol mich.
Ich will nie wieder essen!
Ich halt es nicht mehr aus.
Für gewöhnlich sind Ohrwürmer lästig, doch harmlos, Advent-Tinnitus ist glücklicherweise zeitlich begrenzt, Osterlieder sind gottlob noch nicht erfunden. Einige Stücke spielt das Kopfradio besonders gerne, auch ohne äußeren Anreiz. Die Titelmelodie der Schlümpfe etwa oder beethovensches Dadadadaaa. Und wann immer ich nicht so genau weiß, was ich eigentlich gerade tun wollte, rotiert, als Übersprungshandlung quasi, ein ganz bestimmter Song am geistigen Plattenteller:
Isn't it awfully nice to have a penis?
Isn't it frightfully good to have a dong?
It's swell to have a stiffy.
It's divine to own a dick,
From the tiniest little tadger
To the world's biggest prick.
So, three cheers for your Willy or John Thomas.
Hooray for your one-eyed trouser snake,
Your piece of pork, your wife's best friend,
Your Percy, or your cock.
You can wrap it up in ribbons.
You can slip it in your sock,
But don't take it out in public,
Or they will stick you in the dock,
And you won't come back.
Warum ich ausgerechnet eine Lobpreisung des männlichen Genitals trällere, wenn mir der Sinn nach Zerstreuung steht? Chronischer Beischlafmangel, spätjuveniler Übermut, Wasweißich. Typisch, würden meine Freunde, die Psychologen vermutlich sagen, ganz klarer Fall: Penisneid natürlich. Apropos…
Als Kind, ich war wohl fünf oder sechs, da hatte ich des Nächtens manchmal einen recht feuchten Traum: Ich stehe im Garten und muss dringend für kleine Mädchen, also zieh ich meine Hose auf Kniehöhe herab, doch anstatt mich in Pinkelhocke zu begeben, fasse ich mir zwischen die Beine, forme aus dem Nichts einen Penis, so lang und dick wie mein kleiner Finger vielleicht, dann pisse ich gegen die Ribiselsträucher, dass es nur so pritschelt.
Rote Ribisel sind ja, neben Hortensien, die Pflanzen, die ich am allerwenigsten leiden kann, nur gegen Thujen hege ich womöglich eine noch größere Aversion. Wie dem auch sei, ich fand eben im Schlaf eine Möglichkeit mich an den Stauden zu rächen, deren Früchte mir sauren Saft und Mutters Kuchen bescherten.
Penise hatte ich, obgleich noch jung an Jahren, schon einige gesehen. Die meiner Brüder und den des Nachbarbuben, der gern zum Doktorspielen auf Hausbesuch vorbeikam. Vielleicht hat auch Neid mitgespielt, daran kann ich mich aber nicht mehr erinnern. Wohl weiß ich noch, dass das stete Prickeln im Unterleib der Empfindung, die mit einer gut gefüllten Blase einhergeht, ähnelte. Ich bestaunte den Wurmfortsatz, der anderen Kindern zwischen den Beinen baumelte und mutmaßte, mein Bauchgefühl käme daher, weil ich selbst nichts anzugreifen hatte. Ich vermochte mir nicht vorzustellen, wozu diese Dinger taugen sollten, ausser um damit im Stehen und wesentlich zielsicherer als ich es konnte, zu pinkeln. Das war nun allerdings keine Fähigkeit auf deren Erwerb ich großen Wert legte.
Auch ging die urinale Phase vorüber, als ich zufällig entdeckte, dass sich das Gefühl, welches meine Traumbilder begleitete, ebenfalls einstellte, wenn ich mir die Unterhose, anstatt sie aufzusetzten, wofür sich meine kleinen Brüder damals offensichtlich sehr begeistern konnten, einfach stramm nach oben zog. Ein einschneidendes Erlebnis.
Jahre vergingen, der Orden der Ritter der Unterhose, stars and stripes im Banner, hatte sich wieder aufgelöst und auch ich fand nur mehr selten Gefallen daran, mir Baumwolle ans Beinfleisch zu pressen. Trotzdem war eine Faszination geblieben, für etwas, das ich nicht in Worte, nicht mit Händen fassen konnte und das mit dem Niemandsland zwischen meinen Schenkeln zu tun hatte.
Zum zehnten Geburtstag hatten die Eltern mir, nichts Anstößiges ahnend, ein Buch geschenkt, von Ungeheuern aller Art war darin die Rede. In diesem Büchlein fand sich ein unscharfes Schwarz-Weiß-Bild einer Androidenfrau. Der Anblick polierter Stahlbrüste bescherte mir meine erste bewusst sexuelle Phantasie. Diffus noch, doch war ich aufgeregt wie nie.
Also instruierte ich sämtliche Volksschulkollegen dahingehend, mehr von dem Stoff zu besorgen: Ich wurde Rädelsführerin eines Kinderpornorings. Wir plünderten Altpapiercontainer und elterliche Nachtkästchen auf der Suche nach brauchbarem Bildmaterial. In den Mädchen fand ich willige Gefolgsleute, die Jungen jedoch zögerten, die hielten Star Trek und Walkie Talkies für weitaus interessanter. Das Ungleichgewicht der Geschlechter spiegelte sich nicht nur in der Bande wieder, auch die Fotos, feinsäuberlich ausgeschnitten und in Pappkartons unterm Bett, gleich neben dem Tagebuch, aufbewahrt, zeigten fast ausschließlich weibliche Motive. Spärlich bekleidete Männer gab es ja kaum irgendwo zu sehen, die gänzlich nackten waren praktisch nicht aufzutreiben und dementsprechend teuer. Siebzehn komplett faserfreie Frauen, möglichst nicht aus Autozubehörprospekten, der schlechten Papierqualität wegen, kostete ein gut erhaltener Männerakt damals, Anfang der Neunziger. Der Tauschhandel florierte, es ließ sich damit nebenbei auch meine umfangreiche Sammlung von Pferdeaufklebern finanzieren. An die wirklich harte Ware kamen wir aber erst heran, als des Messners Tochter einen Stapel Pornozeitschriften aus der Tonne hinter der Kirche fischte.
Was wir da sahen, hatte nur wenig gemein mit dem, was wir, Ken auf Barbie, nachgestellt hatten. Das also war Sex. Wir flüchteten in die heile Welt der Stickeralben und mieden eine zeitlang die Blicke unserer perversen Eltern.
Ich hatte dennoch drei Hefte vor dem heiligen Zorn der Messnersfrau gerettet und daheim unter der Matratze verborgen. Kaum dass sich mein anfängliches Entsetzen gelegt hatte, blätterte ich mit hochrotem Kopf, ausgestattet nur mit einer Taschenlampe, im Schutz der Bettdecke in den eindeutigen Fachmagazinen. Nie zuvor hatte sich mir die menschliche Anatomie so offen dargestellt. Nun endlich waren die letzten Mysterien enthüllt: wozu dieses faltige, schlauchförmige Gebilde, das aus Männern wächst, noch im Stande war und wie mein „das da unten“, das ich seit nunmehr dreizehn Jahren besaß, eigentlich aussah.
Der langen Rede kurzer Sinn: schlussendlich kam mir, noch lang bevor mir auch die physiologische Unschuld, in bester, urchristlicher Tradition unterm Apfelbaum verloren ging, die Idee, doch forschende Hand an mich selbst zu legen.
Was ich da fand, versetzte mich in verzücktes Erstaunen: Ein leibeigenes Home-Entertainment-Center! Einmal mit der Bedienung vertraut, möchte ich nicht mehr darauf verzichten. Vielleicht sollte ich besser, frei nach Monty Pythons, frohlocken: Isn`t it awfully nice to have a clitoris!? Denn: Es kommt nicht auf die Größe an.