vom leben und sterben auf dem lande - I
„Das Leben auf dem Lande“ von John Seymour war die klassische Lektüre für alle Auswanderer und Aussteiger, hinzu kam noch das eine oder andere Buch über antiautoritäre Kindererziehung und Käseproduktion. Schafbauern wurden die meisten, die dem kapitalistischen System entfliehen wollten und sich für ihren Traum vom eigenen Stückchen Land in die Verschuldung begaben. Selbstversorger wollten sie sein, so auch meine Eltern. Deren Blick verklärt sich heute noch, wenn sie von Gemüse sprechen und neue, alte Sämlinge bei der Arche Noah bestellen.
Vollerwerbsbauern wurden die Wenigsten. Vielleicht liegt ihr Verdienst darin, dass sie sich ihren Idealismus behielten, wohingegen die Bauern von Geburt an, die das experimentierfreudige Hippiepack, die "Langzoderten", kritisch beäugten, dem Diktat des Marktes folgten, reichlich chemischen Dünger einsetzten und Massentierhaltung zum Standard erhoben.
Es war Mitte der 80er, als meine Eltern aufs Land zogen, drei kleine Kinder im Schlepptau. Was gab das für ein Aufsehen im Ort. Nur ein schmaler Weg, mehr Trampelpfad, festgestampfte Erde und ein grasbewachsener Mittelstreifen, führte zu uns in den Wald. Der Pfarrer war eine Weile Stammgast in unserer Küche, stets besorgt um unser Seelenheil, denn wir waren allesamt entweder der Kirche ausgetreten oder gleich gar nicht getauft. Auch die Gendarmerie kam anfangs regelmäßig ganz zufällig bei uns im Tal vorbei.
Den Leuten ringsum waren die jungen Städter suspekt. Keine Ahnung von irgendwas hatten die. Noch nie im Leben eine Kuh gemolken, einen Traktor gefahren, einen Baum gefällt oder ein Tier geschlachtet.

Die erste, die uns akzeptierte, war - soweit ich mich erinnern kann - die Frau Sigl, die in unserem Haus nach dem Rechten geshen hatte, als es noch leerstand. Ein altes, krummes Weib, das stets Kopftuch trug und wollene Westen. Die Haut runzlig und vergilbt, der Rücken bucklig von der vielen Arbeit. Sie lebte alleine in ihrem kleinen Häuschen, hackte ihr Holz für den Winter noch selbst. Uns Kindern erschien sie wie eine Märchenhexe. Ich mochte sie sofort. Gemeinsam streiften wir durch die Wälder, pflückten Heidelbeeren und Eierschwammerl oder sammelten Baumharz, das sie über ihrem holzbefeuerten, emailernen Tischherd zusammen mit frischem Schweineschmalz zu einer Schmier schmolz, die als Wundsalbe aufgetragen wahre Wunder wirkte. Katzenfett habe man früher verwendet, erzählte sie und dass sie selber mal ein Katergulasch gegessen hätte, aber heutztage, heutzutage mache man das nicht mehr. Ich war fasziniert.
Noch mehr allerdings faszinierte mich die Abwesenheit jeglicher sanitärer Einrichtungen. Die Frau Sigl, die nur eine spartanische Küche besaß und einen nagelneuen Kühlschrank, den ihre Tochter ihr gekauft hatte, ein kleines Wohnzimmer, dessen Mittelpunkt der Farbfernseher war und die Vitrine, in der sie allerhand kitschigen Krempel, Ziertassen aus billigem chinesischen Porzellan, gläserne Hunde und bunte Plastikblumen aufbewahrte, sowie das Schlafzimmer, auf das sie mich niemals auch nur einen Blick erhaschen lies, in dem sie Süßigkeiten lagerte, die sie mir bei jedem Besuch zusteckte, die hatte kein Badezimmer. Sie wusch sich mit kaltem Wasser aus der Abwasch und ihre Notdurften, die verrichtete sie draußen, in der winzigen Hütte, die vor dem angebauten Scheunentrakt stand, in dem sie früher Ziegen gehalten hatte. Plumpsklo nannte man das.
Überhaupt hatte kaum jemand aus unserer direkten Nachbarschaft ein Klosett mit Wasserspülung. Bei allen stand im Hof, neben dem Kuhstall, dieser diskrete Holzverschlag. Nur wir hatten gleich zwei normale Toiletten, unser Haus hätte aber auch mal ein Ausflugsgasthaus werden sollen, wenn dem Vorbesitzer nicht Ende der Fünfziger Geld und Motivation abhanden gekommen wäre.
Was wir noch nicht hatten, waren Tiere. Da die Jungbauern, die nächste Generation, mit der der Fortschritt, die modernen Traktoren, Vollspaltenboden und Kälberstarter Einzug hielten, den Hof noch nicht übernommen hatten, sah man anderswo bisweilen noch Kühe draußen grasen und Hühner auf dem Misthaufen scharren.
fortsetzung folgt
Vollerwerbsbauern wurden die Wenigsten. Vielleicht liegt ihr Verdienst darin, dass sie sich ihren Idealismus behielten, wohingegen die Bauern von Geburt an, die das experimentierfreudige Hippiepack, die "Langzoderten", kritisch beäugten, dem Diktat des Marktes folgten, reichlich chemischen Dünger einsetzten und Massentierhaltung zum Standard erhoben.
Es war Mitte der 80er, als meine Eltern aufs Land zogen, drei kleine Kinder im Schlepptau. Was gab das für ein Aufsehen im Ort. Nur ein schmaler Weg, mehr Trampelpfad, festgestampfte Erde und ein grasbewachsener Mittelstreifen, führte zu uns in den Wald. Der Pfarrer war eine Weile Stammgast in unserer Küche, stets besorgt um unser Seelenheil, denn wir waren allesamt entweder der Kirche ausgetreten oder gleich gar nicht getauft. Auch die Gendarmerie kam anfangs regelmäßig ganz zufällig bei uns im Tal vorbei.
Den Leuten ringsum waren die jungen Städter suspekt. Keine Ahnung von irgendwas hatten die. Noch nie im Leben eine Kuh gemolken, einen Traktor gefahren, einen Baum gefällt oder ein Tier geschlachtet.

Die erste, die uns akzeptierte, war - soweit ich mich erinnern kann - die Frau Sigl, die in unserem Haus nach dem Rechten geshen hatte, als es noch leerstand. Ein altes, krummes Weib, das stets Kopftuch trug und wollene Westen. Die Haut runzlig und vergilbt, der Rücken bucklig von der vielen Arbeit. Sie lebte alleine in ihrem kleinen Häuschen, hackte ihr Holz für den Winter noch selbst. Uns Kindern erschien sie wie eine Märchenhexe. Ich mochte sie sofort. Gemeinsam streiften wir durch die Wälder, pflückten Heidelbeeren und Eierschwammerl oder sammelten Baumharz, das sie über ihrem holzbefeuerten, emailernen Tischherd zusammen mit frischem Schweineschmalz zu einer Schmier schmolz, die als Wundsalbe aufgetragen wahre Wunder wirkte. Katzenfett habe man früher verwendet, erzählte sie und dass sie selber mal ein Katergulasch gegessen hätte, aber heutztage, heutzutage mache man das nicht mehr. Ich war fasziniert.
Noch mehr allerdings faszinierte mich die Abwesenheit jeglicher sanitärer Einrichtungen. Die Frau Sigl, die nur eine spartanische Küche besaß und einen nagelneuen Kühlschrank, den ihre Tochter ihr gekauft hatte, ein kleines Wohnzimmer, dessen Mittelpunkt der Farbfernseher war und die Vitrine, in der sie allerhand kitschigen Krempel, Ziertassen aus billigem chinesischen Porzellan, gläserne Hunde und bunte Plastikblumen aufbewahrte, sowie das Schlafzimmer, auf das sie mich niemals auch nur einen Blick erhaschen lies, in dem sie Süßigkeiten lagerte, die sie mir bei jedem Besuch zusteckte, die hatte kein Badezimmer. Sie wusch sich mit kaltem Wasser aus der Abwasch und ihre Notdurften, die verrichtete sie draußen, in der winzigen Hütte, die vor dem angebauten Scheunentrakt stand, in dem sie früher Ziegen gehalten hatte. Plumpsklo nannte man das.
Überhaupt hatte kaum jemand aus unserer direkten Nachbarschaft ein Klosett mit Wasserspülung. Bei allen stand im Hof, neben dem Kuhstall, dieser diskrete Holzverschlag. Nur wir hatten gleich zwei normale Toiletten, unser Haus hätte aber auch mal ein Ausflugsgasthaus werden sollen, wenn dem Vorbesitzer nicht Ende der Fünfziger Geld und Motivation abhanden gekommen wäre.
Was wir noch nicht hatten, waren Tiere. Da die Jungbauern, die nächste Generation, mit der der Fortschritt, die modernen Traktoren, Vollspaltenboden und Kälberstarter Einzug hielten, den Hof noch nicht übernommen hatten, sah man anderswo bisweilen noch Kühe draußen grasen und Hühner auf dem Misthaufen scharren.
fortsetzung folgt
MoniqueChantalHuber - 23. Jul, 11:18
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