generationenkonflikt
"Sie hat schon geweint, als ich gekommen bin. Da waren die Hunde noch im Hof. Und dann hat sie geweint, als sie mich fragte, was ich eigentlich grade so mache und ich ihr keine Antwort geben konnte, die für sie zählt. Dann hab ich eine Kanne mit Blumendünger aufs Fensterbrett gestellt, weil die Hunde versuchten daraus zu trinken und ich verhindern wollte, dass jemand die Kanne aus Versehen umkippt. Was sollen denn da die Leute denken, wenn bei mir eine Plastikkanne am Fenster steht, hat sie gesagt und dass ich nicht mit den Hunden raus auf die Straße soll, damit mich niemand sieht. Und dann hat sie wieder geweint."
"Wir sind halt nicht die fleissigen, tollen Bergers."
"Die sind ja auch zum Arbeiten erzogen worden."
....
"Weißt du", sagt der Bruder. "Weißt du wieviele Leute sagen, sie wären froh, wenn sie solche Eltern hätten wie wir?"
"Schau", sage ich. "Schau, letztlich ist es vermutlich egal, wie man erzogen wird. Hinterher hat man immer etwas daran auszusetzen. Und stell dir mal vor, was für schrecklich biedere Menschen wir hätten werden können."
"Wisst ihr" sagt die Mutter. "Wisst ihr, eigentlich seid ihr so geworden, wie wir uns das gewünscht haben. Naja, meistens. Ihr lebt das Leben, von dem wir immer geträumt haben"
...
"Weißt du" sagt die Mutter. "Weißt du, sie hätte doch nicht kochen müssen. Ich sag ihr das jedes Jahr. Ich muss mich endlich wehren. Aber ich kann sie nicht zu uns einladen. Im Sommer ist es ihr zu heiß, im Herbst ist es ihr zu nass. Sie fühlt sich unwohl bei uns. Sie mag nicht, wie es bei uns aussieht. Sie schämt sich für mich."
"Schau" sage ich. "Schau, sie ist jetzt 78. Sie hat immer in ihrer Bauern- und Dorfwelt gelebt. Sie wird nicht mehr verstehen, dass man auch anders leben kann. Natürlich schimpft sie und beklagt sich. Sie war ihr Leben lang Köchin, wenn sie nicht mal mehr kochen kann, dann hat sie gar nichts mehr. Was sie nach aussen ist, macht sie aus."
"Sie hat ja auch niemanden, mit dem sie reden kann. Sie würde mit niemandem reden. Sie kann sich nur ins Bett legen und die ganze Nacht grübeln. Da muss ihr ja manchmal der Kopf platzen."
...
"Ich warte noch mit dir auf den Zug."
"Es tut mir leid, ich hätte nicht kommen sollen."
"Ich fand es schön, dass du da warst."
"Sag ihr, sie soll sich das nicht zu sehr zu Herzen nehmen. Ich hab ihr erklärt, wie Großmütter funktionieren."
"Ich habe kurz an eine Umarmung gedacht."
"Ich hatte sowas befürchtet. Aber mit dem Schmarrn fang ich in meinem fortgeschrittenen Alter auch nimmer an." Wollen würd ich schon, schließlich bist du der Vater, der mein Vater mir nicht ist. Du bist mein Vater. Aber nur keine Sentimentalitäten. Ich kann nicht hier am Bahnsteig ausheulen, was ich nie ausheulen werde. Das tut keiner von uns. Genetische Disposition.
MoniqueChantalHuber - 24. Dez, 23:28